Eine Idee wird Wirklichkeit und das Tag für Tag

Bericht von Willi Volks (INKOTA Berlin) über die gemeinsame Reise der Mitglieder des Vorstandes der gb-Stiftung Günter Beining und Paul Damerau sowie Willi Volks

Wie jedes Jahr war ich auch im November 2011 wieder in dem Projekt in San Dionisio. Davon sowie von einem Besuch im Nachbarlandkreis San Ramón, auf den das Projekt zukünftig ausgeweitet werden soll, möchte ich Ihnen nachfolgend berichten.

Die Veränderungen gegenüber den Vorjahren began­nen schon bei meinem Schlafplatz. Statt in einem Klappbett im Bürogebäude zu kampieren, konnte ich in einem bequemen Bett in einem der neuen Schlafräume übernachten. Außerdem gab es in dem Gebäude noch separate Duschen und Toiletten.

Diese für mich so angenehmen Äußerlichkeiten mach­ten deutlich, was sich in dem Projekt in letzter Zeit unter anderem getan hat: Das Ausbildungszentrum ist (fast) fertig.

Das schönste Ausbildungszentrum Nicaraguas?!

Wenn ich schreibe »fast«, dann bezieht sich das auf zwei Berei­che: auf die Modellfinca und einen zweiten Schlafraum. Die Modellparzelle muss sich – das liegt in der Natur der Sache – Schritt für Schritt entwickeln, aber es ist schon sehr viel ange­legt worden und sie ist »kräftig im Wachsen« begriffen. Zumin­dest kann schon so viel Obst und Gemüse geerntet werden, dass es für das Essen einer kleinen Begrüßungsfeier mit etwa zwanzig Personen mehr als reichte und auc KursteilnehmerInnen wurden schon durch die eigene Produktion verköstigt. Der zweite Schlafraum ist noch nicht gebaut, deshalb über­nachten je nach Zusammensetzung der Kurse entweder die Männer oder Frauen noch in einem provisorisch dafür präpa­rierten Unterrichtsraum. Demnächst aber wird dieser Engpass überwunden und ein zweiter Schlafraum gebaut sein.

Doch unabhängig davon, dass noch einige wenige Dinge feh­len, sind sich die MitarbeiterInnen unserer Partnerorganisation ODESAR, noch mehr aber die KleinbäuerInnen des Projekts, sicher: Sie haben das schönste Ausbildungs­zentrum Nicaraguas!

Ob dies wirklich der Fall ist, kann ich natürlich nicht ganz ein­schätzen. Wenn allerdings bei einem Ausbildungszentrum die wahre Schönheit« ebenso wie bei Menschen »von innen« kommt, dann haben die Leute aus San Dionisio zweifelsohne recht. Das Besondere an dem Zentrum ist nämlich, dass alle Weiterbildungen für die Kleinbäuerinnen und -bauern aus dem Projekt kostenfrei sind.

Doch damit dies möglich ist, muss das Zentrum alternativ Ei­genmittel erwirtschaften. Dafür sind im Jahr 2011 zwei wichtige Schritte gegangen worden:

Zum einen ist das Zentrum staatlich anerkannt worden. Das heißt einerseits, dass im Auftrag des »Staatlichen Technolo­gischen Instituts« beispielsweise bezahlte Ausbildungen für LandwirtschaftstechnikerInnen oder UmweltpromotorInnen angeboten werden können und andererseits die Abschlüs­se für alle Ausbildungen von ODESAR, staatlich anerkannt werden.

Zum anderen hat sich das Zentrum bei Nichtregierungsorga­nisationen und anderen Institutionen schon einen guten Na­men gemacht: Beispielsweise haben Umweltorganisationen auch aus anderen mittelamerikanischen Ländern, einheimische Nichtregierungsorganisationen, Bauernzusammenschlüsse oder der deutsche Friedensdienst EI RENE das Zentrum schon für Weiterbildungen genutzt.

Ein Vorteil des Zentrums ist die Verbindung von Theorie und Praxis, denn die Modellfinca bietet zunehmend mehr Möglichkeiten der praktischen Anschauung und Nutzung: Von der Bienenzucht oder Kaffeeanpflanzung über die Kuhhaltung, ökologisch diversifizierten Gemü­se- und Obstanbau bis hin zur Permakultur, der mo­dellhaften Anlage von Kleinstbeeten für begrenzte Anbauflächen und Nutzung von Solarzellen für die Stromerzeugung sowie Biogas zum Kochen für die Versorgung der KursteilnehmerInnen mit Produkten der Finca.

Ein vorbildliches Projekt

Wer dieses Ausbildungszentrum und die diversifi­zierten Parzellen der kleinbäuerlichen Familien sieht, der wundert sich nicht, dass sich das Projekt in San Dionsio inzwischen im wahrsten Sinne des Wortes zu einem Modell der aktiven Hilfe in diesem Bereich entwickelt hat: Es ist ein viel beachtetes Vorbild für ländliche Entwicklung in der Region.

Dadurch ändert sich auch der Charakter der notwen­digen Unterstützung. Während es in San Dionisio in der Endphase des Projektes »nur noch« um zwei Projektkomponenten geht – die Schaffung von Einkommen und die Autonomie der klein bäuerlichen Familien – soll es zugleich auf fünf neue Gemeinden im Nachbarlandkreis San Ramón ausgeweitet werden, um dort erste Grund­lagen für eine ähnlich erfolgreiche Entwicklung wie in San Dionisio zu schaffen.

In San Dionisio haben die KleinbäuerInnen sowohl eine Kooperative – als eigene Dachor­ganisation für alle 18 Gemeinden des Landkreises – als auch eine Vermarktungsgruppe gebildet, die die Überschüsse ihrer Gemüse- und Obstproduktion auf lokalen Märkten verkaufen soll.

Es gibt schon eine Vielzahl individueller Verkaufsin­itiativen in den Gemeinden und wöchentlich einmal findet ein Markt statt, auf dem die ProjektteilnehmerInnen aus jeweils zwei bis drei Gemeinden ihre Wa­ren anbieten. Doch eine Vermarktung »in großem Stil« auch außerhalb von San Dionisio, beispielsweise in der Departementshauptstadt Matagalpa oder später gar in der Hauptstadt Managua, soll kollektiv erfol­gen, nicht zuletzt, um den Transport größerer Men­gen von Gemüse und Obst effektiv durchzuführen. Außerdem wollen sie weiterverarbeitete Produkte wie Marmelade, Honig, einheimische Mixgetränke, Cremes und Shampoo aus Naturmedizin sowie Futtermittelkonzentrate anbieten, die auf den Märkten zu höheren Preise als Rohprodukte verkauft werden können.

»Entwicklung in die eigenen Hände nehmen«, ist der gemeinsame Inhalt der beiden aktuellen Projektkom­ponenten in San Dionisio, eine sehr wichtige Rolle spielt dabei das Ausbildungszentrum. Denn das übergeordnete Ziel der Ausbildungen ist, dass die KleinbäuerInnen befähigt werden, als »lideres« (Führungspersönlichkeiten) ihre Selbstor­ganisation in allen Belangen unabhängig von äußerer Unterstützung zu führen.

Sie haben eine multifunktionale Kooperative gebildet, die für alle Bereiche kleinbäuerlicher Landwirtschaft, von Saatgutkrediten über Produktion und Tierhaltung verantwortlich ist. Doch um diese eigenständig füh­ren zu können, reicht es nicht, dass sie sich nur in landwirtschaftlichen Bereichen weiterbilden, sondern beispielsweise auch in der Vermarktung, im Klein­kreditwesen, der Buchhaltung, dem Umweltschutz, der Katastrophenprävention und nicht zuletzt in der Leitung einer eigenständigen Organisation.
Wahrlich kein leichtes Unterfangen, doch einen ersten Ein­druck, wie weit sie auf dem Wege schon gekommen sind konnte ich während meines Aufenthalts in San Dionisio erleben: Erstmals hat nicht mehr das Team von ODESAR die Besprechung geleitet, sondern die Leitung der Kooperative und die TechnikerInnen von ODESAR waren ebenso stille ZuhörerInnen wie ich, allerdings in einer anderen Funktion, denn sie sind seit kurzem auch Mitglieder der Kooperative.

Erste Eindrücke aus San Ramón

Eine ganz andere Aufgabe werden die Kleinbäue­rInnen demnächst in San Ramón ha­ben, wo fünf neue Projektgemeinden hinzukommen. Beeindruckt von den Erfolgen im benachbarten San Dionisio wollen dortige kleinbäuerliche Familien eine ähnliche Entwicklung nehmen, die ODESAR­TechnikerInnen werden sie dabei intensiv anleiten, ausbilden (natürlich im eigenen Ausbildungszent­rum!) und begleiten.

Wie nötig dies sein wird, zeigte ein Besuch in Guabu­le, einer der neuen Gemeinden, recht deutlich. Schon unser Weg dorthin ließ erahnen, unter welch schwie­rigen Bedingungen die Menschen in den entlegenen verstreuten Gemeinden leben. Unser Wagen kraxelte nur mit Mühe die steilen unbefestigten Wege in das Gebirge hinauf und als es anfing zu regnen, hatten wir schon die Befürchtung, dass wir die Gemeinde gar nicht mehr erreichen können. Als dies schließ­lich doch gelang, hatten wir nach dem Aussteigen aus dem Auto in kürzester Zeit dicken Matsch unter unseren Schuhsohlen und so »eierten« wir in einen provisorischen Versammlungsraum, wo uns etwa 40 Frauen und Männer erwarteten.

Dieser Raum offenbarte recht schnell einiges von den prekären Lebensbedingungen: Es war ein frei gemachter größerer Wohnraum einer Familie, der Fußboden war aus Lehm und das Wellblechdach wies so viele Löcher auf, das wir immer wieder mal unsere Plastikstühle wegrücken mussten, um »grö­ßeren Duschen« zu entgehen.

Doch so ungewöhnlich für uns als Mitteleuropäer diese Umstände auch sein mögen, für die Bevölke­rung sind sie Alltag. In den letzten Jahren kam es durch Starkregen zunehmend zu Erdrutschen und Überschwemmungen. Ein besonderer Schwerpunkt der Projektmaßnahmen in dieser sehr bergigen Re­gion wird es deshalb sein, die Auswirkungen des Klimawandels und von Naturkatastrophen durch Wiederaufforstung, Anlegen von Antierosionsgräben, Lebendbarrieren und Dämmen zu vermindern. Denn ohne diesen Schutz würden alle Bemühungen der Familien, ihre Ernährung zu sichern, erfolglos sein, denn so manche Anpflanzung würde sonst wohl im wahrsten Sinne des Wortes »den Bach runterge­hen«.

Und angepflanzt werden soll demnächst sehr viel: KleinbäuerInnen wollen mit dem Obst­- und Gemüseanbau beginnen, und besitzlose Frauen sollen Eigentumsland, Saatgut und Tiere erhalten.

Denn noch haben sie – so wie früher die Menschen in San Dionisio – nur Mais und Bohnen zu essen. Und ihre Sehnsucht ist, zukünftig wie diese schon heute, bis zu 30 verschiedene Gemüse- und Obstsorten in ihren Parzellen zu haben.

Für die Erfüllung dieses Traumes benötigen die KleinbäuerInnen in San Dionisio und San Ramón Ihre Unterstützung!